Marketing Automation - Wenn nicht jetzt, wann dann?
In der neusten Ausgabe der Keynotes von Amstutz Partners beantwortet René Häfliger die wichtigsten Fragen zur Marketing Automation.
Originalbeitrag: Matthias Jaun, Amstutz Partners AG
Es ist längst kein Geheimnis mehr: Die digitale Transformation hat das Kundenverhalten massiv verändert. Heute wird fast ausschliesslich online gesucht. Und daran gibt es (zurzeit) nichts zu rütteln – das wird einem auch tagtäglich bei sich selber bewusst. Setzt man die Marketing-Brille auf, merkt man ebenfalls schnell, dass sich einiges getan hat. Digitales Marketing ist selbstverständlich, dem Content wird längst höchste Beachtung geschenkt und der Marketingerfolg wird je länger je mehr konkret messbar.
Mit dem hohen und anspruchsvollen Informationsbedürfnis heutiger Kunden und dem Budget- und Ressourcendruck in den Marketingabteilungen kommt man um ein Thema nicht mehr herum: die Marketing Automation. Höchste Zeit, diese softwaregestützte Methode unter die Lupe zu nehmen. Unser Partner und langjähriger Experte in diesem Bereich, René Häfliger von KLARPLAN, gewährt spannende Einblicke.
René, Marketing Automation ist in aller Munde und gewiss nichts Neues mehr. Trotzdem scheinen sich viele bereits mit dem Verständnis schwer zu tun. Wie beschreibst du jemandem Marketing Automation während einer kurzen Liftfahrt?
Tatsächlich ist das Verständnis nicht immer klar und der Begriff ein bisschen diffus. In erster Linie geht es aber darum, das Marketing zu automatisieren. Man will also datenbasiert ein möglichst individuelles Kundenerlebnis bieten, um eine Marke zu positionieren und um Marketingziele effizient zu erreichen. Marketingeffizienz und die Steigerung des Kundenerlebnisses sind die beiden wichtigsten Komponenten der Marketing Automation.
Das hört sich ja erstmal überraschend einfach an. Ist eine effiziente Automation denn nicht per se ein Widerspruch zum Bedürfnis nach individuellen und persönlichen Inhalten?
Marketing Automation ersetzt den persönlichen Kontakt nicht. Mit dem richtigen «Use Case» kann die Automation aber entweder vor oder nach diesem Kontakt optimal unterstützen und so zu schnelleren und besseren Lösungen für den Kunden beitragen. Sei es beispielsweise durch die Beantwortung von Fragen oder Zurverfügungstellung von wertvollen Informationen.
Gerade im B2B-Bereich ist der direkte und persönliche Kontakt nicht wegzudenken. Ist Marketing Automation also nur für B2C geeignet?
Im B2C-Bereich kennt man diese Methode als verkaufsfördernde Massnahme schon lange – nicht zuletzt dank dem E‑Commerce. Mit der Veränderung des Kundenverhaltens wurde Marketing Automation je länger je mehr auch für B2B-Unternehmen interessant, wenn nicht sogar eine Notwendigkeit. Aus Studien weiss man, dass bei der Informationssuche von potentiellen B2B-Kunden die Recherche zu 70 Prozent abgeschlossen ist, bevor ein Unternehmen kontaktiert wird. Eine Shortlist ist demnach vielfach vor dem Erstkontakt bereits erstellt. Insbesondere bei erklärungsbedürftigen Produkten und Services oder bei komplexeren Entscheidungswegen hat sich mittlerweile die Generierung von Leads als Hauptmarketingziel etabliert. Mit der Marketing Automation als «verlängerter Arm» unterstützt man dies, indem potenzielle Kunden bereits während der langen Phase der Informationssuche begleitet werden. Einerseits können sich Unternehmen so als Problemlöser und Lösungsanbieter mit wertvollem Content positionieren. Andererseits gewinnt man spannende Insights über die Interessen und das Verhalten eines potenziellen Kunden, von welchen man bei einem allfälligen späteren Kontakt dann profitieren kann.
Lead-Generierung ist ein gutes Stichwort. Angenommen, ich suche einen Partner für die Einführung von Marketing Automation in meinem Unternehmen. Blauäugig google ich «Wie führe ich Marketing Automation ein?». Nun sollte ich hoffentlich sofort auf ein Whitepaper von dir stossen, oder? Und wie würde der Weg dann im Optimalfall weitergehen?
Das stimmt. Bei Ratgeber-Content, beispielsweise in Form eines Blogbeitrags, Konfigurators oder eben eines Whitepapers, wird für das Hinterlassen einer E‑Mail-Adresse vertieftes Wissen kostenlos zur Verfügung gestellt.Danach werden deine Aktionen entsprechend getrackt: wie verhältst du dich beispielsweise auf der Website, welche Inhalte haben dich interessiert und interagierst du mit dem erhaltenen Whitepaper. In den nächsten Tagen erhältst du dann ein weiteres Mail, wo auf das Whitepaper Bezug genommen wird und du zusätzlich für weiterführende Inhalte angefragt wirst. Je nach Interaktion deinerseits wird dieser Prozess dann fortgeführt.
Knackpunkt bei der Lead-Generierung ist ganz klar der sogenannte Lead-Magnet. Also das kostenlose «Produkt», welches man einem Interessenten im Tausch gegen seine Kontaktdaten anbietet. Es muss sehr guter sowie problemlösender Inhalt sein, einen gewissen Wert darstellen und darf trotzdem nicht zu viel vom eigenen Business preisgeben. Ein Whitepaper ist nur eine von sehr vielen Möglichkeiten.
«Mit der Marketing Automation kann man also beispielsweise im Vergleich zu schnell ‹verpufften› Newsletter-Inhalten langfristig und gezielt ‹Content-Häppli› versenden.»
Klingt nach ziemlicher Knochenarbeit und viel Initialaufwand. Wie lässt sich dies mit der effizienzgetriebenen Marketing Automation vereinbaren?
Marketing Automation setzt eine gezielte Auseinandersetzung mit den Kundensegmenten voraus. Welche Personas gibt es? Welche Interessen und Informationsbedürfnisse haben sie? Und dann geht es darum, diese Bedürfnisse zu stillen. Grundsätzlich kann man – neben dem Erstellen von zielgerichtetem Content – nur über diesen Schritt richtig automatisieren. Es ist also effektiv so, dass man einen entsprechenden Initialaufwand hat. In diesem Zusammenhang spricht man aber von Evergreen-Content. Das heisst, man erarbeitet Content, den man dann leicht modifiziert über eine lange Zeit auf verschiedenen Kanälen verwenden kann. Mit der Marketing Automation kann man also beispielsweise im Vergleich zu schnell «verpufften» Newsletter-Inhalten langfristig und gezielt «Content-Häppli» versenden. Immer dann, wenn die Signale dafürsprechen, dass der potenzielle Kunde dafür empfänglich wäre.
Ist demzufolge eine Marketing Automation für Unternehmen immer von Vorteil? Oder gibt es Fälle, wo du bewusst davon abrätst?
Es gibt durchaus Unternehmen, welche mit einer Marketing Automation keinen Mehrwert hätten. Für eine Automation braucht es immer ein gewisses System für die Neukundengewinnung oder die Kundenbindung. Ohne Fundament für die Generierung von Leads, ist auch die Marketing Automation nicht notwendig. Dann sind andere Massnahmen vordringlicher. Auf Seiten der Unternehmen helfen vielfach zwei Schlüsselaspekte zur Entscheidungsfindung, ob eine Marketing Automation hilfreich wäre oder nicht: Erstens braucht es eine unternehmerische Entscheidung, wie die (potenziellen) Kunden optimal betreut werden sollen. Diese Entscheidung hängt auch stark vom Markt, den Ressourcen und den Ansprüchen der Kunden ab. Zweitens gilt es, die unternehmensinternen Voraussetzungen zu prüfen: Mindset (wir wollen kundenzentriertes Marketing und Content generieren), Skillset (wir wollen die notwendigen Fähigkeiten aufbauen) und das Toolset (wir haben die technische Plattform).
Wenn wir schon bei den Unternehmen sind: was schätzt du, wie viele KMUs nutzen im B2B-Bereich in der DACH-Region eine Marketing Automation? Und wie sieht der Trend in den nächsten Jahren aus?
Da gibt es eine umfassende Studie der ZHAW. Gemäss dieser Studie setzen rund 40 Prozent der befragten KMUs in diesem Bereich Marketing Automation ein. Auch wenn der Begriff (was fällt alles unter Marketing Automation) ziemlich breit interpretiert wurde, ist ein ganz klarer Trend ersichtlich: Der Einsatz wächst exponentiell. Diese Entwicklung wird auch dadurch begünstigt, dass die Systeme heute erschwinglich sind.
Trotzdem lassen immer noch einige Unternehmen die Finger davon. Neben den Kosten scheinen auch die Ressourcen ein gewichtiges Gegenargument zu sein?
Entgegen der gängigen Annahme können auch KMUs, welche über nur eine Marketingstelle verfügen, grundsätzlich stark von einer Marketing Automation profitieren. Denn genau dort muss bereits vieles mit beschränkten Ressourcen erledigt werden – beispielsweise die monatliche Entwicklung von aufwändigen Newsletter-Inhalten oder die Pflege von Social-Media-Kanälen. Mit einem Marketing Automation System könnte man sowohl die Bereiche Marketing und Sales, später vielleicht sogar den Service-Bereich, entlasten. Auch viele sehr ressourcenbedachte Start-ups richten den Fokus mittlerweile auf die Kundenorientierung und setzen von Anfang an auf den Mehrwert einer Marketing Automation. Im Grossen und Ganzen könnten also auch eher traditionelle und/oder kleinere Unternehmen mit beschränkten Ressourcen von dieser Methode profitieren. Es muss ja nicht gleich ein umfassendes Grossprojekt sein, sondern könnte auch mit gezielten Leuchtturm-Projekten «sanft» starten.
«Entgegen der gängigen Annahme können auch KMUs, welche über nur eine Marketingstelle verfügen, grundsätzlich stark von einer Marketing Automation profitieren.»
Zurück zur Customer Journey: Dass sich Marketing Automation für Neukundengewinnung eignet, ist nicht von der Hand zu weisen. Wie sieht es aber für die Bestandskundenpflege aus?
Das ist von Projekt zu Projekt sehr unterschiedlich. Im E‑Commerce beinhaltet die Automation beispielsweise das aktive «Abholen» von Weiterempfehlungen oder Bewertungen sowie das klassische Upselling. Im B2B- und Dienstleistungsbereich geht es bei der automatisierten Bestandskundenpflege in erster Linie um Content Marketing. Gewonnene Insights helfen, möglichst individuelle und relevante Inhalte zu generieren und zur Verfügung zu stellen. Diese halten die Kundenbeziehungen aufrecht und das Unternehmen ist und bleibt in ausgewählten Segmenten möglichst «Top of Mind». Die Grundidee besteht darin, mit guten Inhalten in Kontakt zu bleiben und Kunden zu reaktivieren. In diesem Bereich sind beispielsweise Versicherungen sehr stark.
Wie beschreitet man mit Marketing Automation den schmalen Grat zwischen «ausreichend» und «zu vielen» Inhalten für (potenzielle) Kunden?
Auch das ist sehr unterschiedlich und von verschiedenen Faktoren abhängig: Wie viel Content ist überhaupt vorhanden? Wie viele Themen sind sinnvoll? Und vor allem, wie präsentieren sich die spezifischen Eigenheiten der Buyer und Customer Journey? Es gibt Unternehmen, die verkaufen jährlich etwas und andere nur einmal in 15 Jahren. Man kommt also nicht darum herum, die individuelle Situation umsichtig zu analysieren, um die richtige Menge an Inhalten zu definieren.
Richten wir den Blick noch auf das Herz der Methode: das Marketing Automation Tool. Die Auswahl scheint dort überwältigend. Wie evaluiert man ein solches Tool möglichst zielführend?
Die meisten Unternehmen greifen für die zielführende Evaluation eines geeigneten Tools auf einen Partner zurück. Natürlich kann auch in Eigenregie evaluiert werden – es ist jedoch ein langer und zeitintensiver Prozess. Das Wissen über die Anwendung der Tools in «Live-Projekten» ist vielfach unabdingbar, um beispielsweise die Vor- und Nachteile fundiert abzuwägen oder die Bedürfnisse abzugleichen. Auch der Datenschutz ist ein elementares Entscheidungskriterium. Bei heiklen Daten, welche nicht auf einem amerikanischen Server liegen sollten, wird die Auswahl plötzlich ziemlich eingeschränkt. Dennoch ist die Evaluation unter Berücksichtigung des Budgets und den spezifischen Anforderungen, wie zum Beispiel die Anbindung von Kanälen und Schnittstellen, ein schwieriges Unterfangen.
Mit deiner Erfahrung kannst du bestimmt eine Tool-Empfehlung abgeben. Gibt es eine eierlegende Wollmilchsau?
(Lacht) Nein. Oder besser gesagt: Es kommt wirklich immer sehr auf die Anforderungen und Bedürfnisse an. Ich arbeite vielfach mit einer Handvoll Tools und kenne ein paar weitere aus Evaluationen, natürlich kenne auch ich nicht alle – das wären ca. 300!
Branchenleader ist HubSpot, welcher eine Software anbietet, die keine Wünsche offen lässt. Diese hat selbstverständlich auch ihren Preis. Erschwinglichere Tools, wie beispielsweise die Opensource-Lösung Mautic, bieten neben gewissen Einbussen in der Usability und bei den Funktionen bereits ab CHF 100/Monat durchaus sehr gute Möglichkeiten. Dann gibt es eine grosse Bandbreite an Tools, welche mit monatlichen Kosten zwischen CHF 200 und CHF 400 leistungsmässig an HubSpot herankommen. Dazu gehören beispielsweise ActiveCampaign und SharpSpring – ohne den Eindruck entstehen zu lassen, dass diese die einzigen Top-Tools sind. Natürlich kann auch Mailchimp als Tool funktionieren. Sobald es dort aber um CRM oder Scoring geht, stösst man schnell an Grenzen.
Die Einführung der Marketing Automation ist wahrscheinlich immer die grösste Hürde. Denn solche Projekte erfordern bekanntlich auch immer ein unternehmensweites Umdenken. Wie setzt man Marketing Automation erfolgreich um?
Ich persönlich würde von Anfang an alle Beteiligten ins Boot holen. Das heisst, jeweils eine verantwortliche Person aus der Geschäftsleitung, dem Marketing, dem Sales, der IT-Abteilung und allenfalls aus dem Service. So können dann auch optimal die Erwartungen und Ziele definiert werden. Bei cleveren Umsetzungen, wo ein strategisches Tool im Vordergrund steht, profitieren praktisch alle erwähnten Bereiche. Von einem «Überkonzipieren» würde ich bewusst abraten: Lieber im Sinne von «up and running» loslegen und beispielsweise mit dem Tracking starten. Mit den Resultaten kann man bereits sukzessive erste Automationen, bei denen man den grössten Mehrwert sieht, umsetzen. Bei Unternehmen, welche ein besseres, datengetriebenes «Newsletter-Tool» wollen, ist die Einführung nicht sonderlich problematisch. Dort werden Automationen dann vielfach fortführend implementiert.
Last, but not least: Auf was sollen Marketers, welche ein Marketing Automation-Projekt betreuen oder verantworten, das Hauptaugenmerk legen?
Ganz klar Kundenfokus – im Sinne von: «Was können wir tun, um unseren (potenziellen) Kunden einen Mehrwert zu bieten?».